Gewohnheit verdrängt Spurwechsel 

Copyright Bildmaterial 2015 by Ronaldo Goldberger (Zentrum für Persönlichkeitsentfaltung, Villmergen/AG)

 

19. August 2015


IM BRUCHTEIL EINER SEKUNDE PRÄSENTIERTE SIE SICH - UND LIESS MICH HELL AUFLACHEN! Wenn die Gewohnheit eines notorischen Autofahrers, der monatlich bis zu 5000 km beruflich über den Asphalt donnert, noch einen Zacken zulegt und sich selbst übertrifft, dann wird's echt drollig.

 

Die Geschichte ist kurz erzählt: eines frühen Sonntagmorgens, als der Verkehr noch ruhte, die Bäckerei aber schon offen hatte, radelte ich "hoch zu Ross" auf meinem treuen Drahtesel auf der Überlandstrasse. Plötzlich entdeckte ich, dass ich mich äusserst bemühte, rechterhand die durchzogene Linie des grell markierten Fahrradstreifens nicht zu überfahren. Ein heiteres Lachen entfuhr mir, als ich des Widerspruchs gewahr wurde: soeben brachte ich mich ums Privileg, auf justament jener Spur geschützt vor den vorbeiflitzenden Automobilisten mich in "Sicherheit" zu wiegen, die für kräftig in die Pedale Tretende vorbehalten war. 

 

Natürlich wechselte ich prompt die Spur, lasse ich mich doch nicht lumpen, wenn mir etwas zusteht. Die Erkenntnis, wonach wir Menschenkinder alle irgendwie Gewohnheitstiere sind, welche automatisiert gewisse Abläufe abspulen, ist ja nicht gerade aufregend neu. Doch sich eine offensichtliche Chance zu verkneifen, die eigene Situation unmittelbar zu verbessern, ist schon bemerkenswert. Jede Veränderung birgt bekanntermassen ein Risiko. Sie könnte ordentlich in die Hosen gehen, die Macht der Gewohnheit dergestalt durchbrechen, dass einem der Boden unter den Füssen schwankt. Aber was geschieht, wenn die Einsicht, wonach hier und jetzt, vielleicht unwiderruflich, eine Option zur Veränderung förmlich nach Nutzung schreit, in mir aber nichts sich regt, sich die Chance nicht Bahn bricht, somit alles wie gehabt seinen Lauf nimmt? Bin ich dann, eines nicht wahrgenommenen Spurwechsels wegen, von der Piste abgekommen? Oder radle ich so lange tollpatschig im vermeintlich "korrekten" Strassenabschnitt, bis ich eines Besseren belehrt werde?

 

Fragen über Fragen. Doch die Antwort liegt auf der Hand: Sie befinden sich nicht wirklich in einer falschen Schiene. Denn solange in Ihnen nicht der Gedanke aufkeimt, etwas modifizieren zu müssen, ist Ihr Wohlbefinden ja nicht beeinträchtigt. Nichtwissen gebiert nicht zwingend schlechte Gefühle. Eher ist es ein beruhigendes Kissen, wenngleich mitunter gar sehr einschläfernd.

 

Nun bemühe ich - völlig selbstlos natürlich.. - das Geheimnis der Wahrnehmung. Es schützt vor Unbill, lässt einen köstlich aus der gewohnheitsmässigen Bahn hinausgleiten und stülpt Automatismen drastisch um. Mitunter wundert man sich, nicht schon längst drauf gekommen zu sein, wonach viele Wege nach Rom führen, indes der von mir in Angriff genommene speziell holprig sich anfühlt. Interessant wär's, einmal auszutesten, ob ich ungeachtet meiner ach so siebeng'scheiten Erkenntnis selbstvernarrt auf meiner Schiene verbleiben möchte, um ein Erfolgserlebnis anderer Art zu erfahren: z.B. dass Sturheit - oder soll ich dreist behaupten: konsequentes Handeln? - sich bezahlt macht. Sie sei am Beispiel der sonntäglichen Spritzfahrt mit dem Velo demonstriert: die Strasse war leer, die Autospur breit, die Spur für an den Randstein gedrängte Velofahrer hingegen eher etwas schmalbrüstig. Warum eigentlich sollte ich mir nicht mal etwas Besseres gönnen? Einen inneren Spurwechsel nach dem Motto: hier bin ich, hier bleib' ich...?! 

 

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